Beschlussentwurf:
1. Der Beauftragung eines gesamtstädtischen Seveso-II-Gutachtens mit einem Auftragsvolumen von 120.000 € wird zugestimmt.
2. Zur Finanzierung werden 120.000 € Deckungsmittel überplanmäßig beim Auftrag 610009050103 Entwicklung und Pflege räumlicher und funktionaler Konzepte für das gesamte Stadtgebiet, bereitgestellt.
Deckungsmittel:
Produktgruppe 0905 – Generelle Planung
Sachkonto 526100 – Aufwand Dienstleistung
Finanzposition 720000 20.000 €
Produktgruppe 1605- Allg. Finanzwirtschaft
Sachkonto 551710 - Zinsaufwendungen für Kassenkredite
Finanzposition 751710 100.000 €
gezeichnet:
Buchhorn Häusler
Begründung:
Die Seveso-II-Richtlinie (Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember
1996) dient der Verhütung schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen und
Begrenzung der Unfallfolgen für Mensch und Umwelt. Artikel 12 der
Seveso-II-Richtlinie befasst sich mit „Land-Use-Planning“ (LUP). Hier ist
festgelegt, dass u. a. bei der „Politik der Flächenausweisung (…) langfristig
dem Erfordernis Rechnung getragen wird, dass zwischen Störfallbetrieben und
Wohngebieten, öffentlich genutzten Gebäuden und Gebieten, wichtigen Verkehrswegen,
Freizeitgebieten und unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders
wertvollen bzw. besonders empfindlichen Gebieten (...) ein angemessener Abstand
gewahrt bleibt (…) damit es zu keiner Zunahme der Gefährdung der Bevölkerung
kommt“. Diese Vorgaben sind sowohl bei der Errichtung / Änderung von
Störfallbetrieben (Betriebsbereichen) als auch bei neuen Entwicklungen im
(unmittelbaren) Umfeld bestehender Betriebe zu berücksichtigen.
Die Umsetzung in deutsches Recht erfolgte über die 12. Verordnung zur
Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchV /
Störfall-Verordnung) sowie § 50 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG).
§ 50 BImSchG enthält das so genannte Trennungsgebot. Danach sind bei
raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen die für eine bestimmte Nutzung
vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen, dass schädliche Umwelteinwirkungen
und von schweren Unfällen in Betriebsbereichen hervorgerufene Auswirkungen auf Wohngebiete
und sonstige schutzbedürftige Nutzungen so weit wie möglich vermieden werden.
Bei städtebaulichen Entwicklungen – insbesondere Neuplanungen – sind im Rahmen
der Bauleitplanung eine Nachbarschaftssituation zu Störfallbetrieben und ggf.
die Einhaltung eines angemessenen Abstandes zu prüfen. Diesbezüglich hat die Kommission
für Anlagensicherheit (KAS) den Leitfaden „Empfehlungen für Abstände zwischen
Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten
im Rahmen der Bauleitplanung – Umsetzung § 50 BImSchG (KAS-18)“ als
Arbeitshilfe heraus gegeben.
Mit seinem Urteil vom 15.09.2012 (EuGH, Urt. v. 15. 09. 2011 – C-53/10)
bestätigte der Europäische Gerichtshof den Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts vom 03.12.2009 (BVerwG, Beschl. v. 03. 12. 2009 – 4 C
5.09) dahingehend, dass Art. 12 Abs. 1 der Seveso-II-Richtlinie sich nicht nur
an Planungsträger, sondern die Baugenehmigungsbehörden richtet. Die Risiken
einer Ansiedlung innerhalb der Achtungsabstände eines Störfallbetriebes müssen
auch dann unter Würdigung des Einzelfalls berücksichtigt werden, wenn das
Vorhaben nach nationalem Recht zwingend zuzulassen wäre. Die Folge dieser
Rechtsprechung ist, dass nicht nur bei Planungen, sondern auch im einzelnen
Genehmigungsverfahren darüber entschieden werden muss, ob neue Nutzungen mit
viel Publikumsverkehr in der Nähe von Betriebsbereichen zugelassen werden
dürfen, in denen gefährliche Stoffe vorhanden sind. Dabei wirken die Vorgaben
des Art. 12 Abs. 1 der Seveso-II-Richtlinie auch im so genannten unbeplanten
Innenbereich gem. § 34 BauGB.
Der EuGH fordert eine seinen Vorgaben entsprechende Auslegung des
nationalen Rechts, welche durch das BverwG vorzunehmen ist. Eine entsprechende
Umsetzung ist bisher nicht erfolgt.
Da keine Detailkenntnisse über die genaue Lage der Störfallbetriebe
innerhalb der Betriebsbereiche auf Leverkusener Stadtgebiet und die dort
gehandhabten Störfallstoffe vorliegen, werden derzeit die pauschalen
Achtungsabstände von 1.500 m nach KAS-18 angenommen. Lägen Detailkenntnisse
vor, könnten die angemessenen Abstände ermittelt werden, die sich u. a. aus den
Sicherheitsmaßnahmen ergeben, die die Betreiber gemäß § 3 Störfall-Verordnung
zu treffen haben, um Störfälle zu verhindern bzw. deren Auswirkungen so gering
wie möglich zu halten. Die angemessenen Abstände sind in der Regel geringer bemessen
als die Achtungsabstände.
Innerhalb der pauschalen Achtungsabstände von 1.500 m befinden sich
zahlreiche Grundstücke und Flächen, die einer städtebaulichen Nutzung bzw.
Entwicklung zugeführt werden sollen. Da bisher keine Detailkenntnisse vorlagen,
wurden seitens der Bezirksregierung Köln bei der Planung schutzbedürftiger
Nutzungen, z. B. Kindertagesstätten, Einzelfallbetrachtungen durch einen nach §
29a BImSchG anerkannten Sachverständigen eingefordert, die belegen, ob und wenn
ja welche Konfliktpotenziale durch die Nähe des Vorhabens zu einem oder
mehreren Störfallbetrieben entstehen und wie diesen begegnet werden kann.
Darüber hinaus wurde der Stadt Leverkusen seitens der Bezirksregierung
empfohlen[1]
„hinsichtlich der weiteren Entwicklungen in der Nachbarschaft des Chemparks
(…), in Abstimmung mit den Betreibern der Betriebsbereiche eine umfassende
Ermittlung des angemessenen Abstandes unter Berücksichtigung der
Gefahrenpotenziale aller Betriebsbereiche nach der in Punkt 3.2 des Leitfadens
KAS-18 beschriebenen Vorgehensweise vorzunehmen. Auf der Basis der Ergebnisse
dieser Untersuchung sollten dann Konzepte für mögliche Nutzungen innerhalb der
ermittelten angemessenen Abstände und gegebenenfalls für betriebsseitige
Maßnamen zur Verringerung der angemessenen Abstände entwickelt werden.“
Aufgrund der geschilderten Umstände, wird seitens des Fachbereichs
Stadtplanung und Bauaufsicht die zwingende Notwendigkeit gesehen, einen nach § 29a
BImSchG anerkannten Sachverständigen mit der Erarbeitung eines
gesamtstädtischen Seveso-II-Gutachtens zu beauftragen. In dem Gutachten soll
die Verträglichkeit bestimmter im Stadtgebiet vorhandener
Störfallbetriebsbereiche mit aktuellen und zukünftigen (städte-) baulichen
Planungen (Stadtentwicklung allgemein) unter dem Gesichtspunkt des § 50 BImSchG
bzw. Art. 12 der Seveso-II-Richtlinie untersucht werden.
In diesem Gutachten sollen zunächst die angemessenen Abstände ermittelt
und darauf aufbauend die möglichen Auswirkungen auf die Stadtentwicklung im
unmittelbaren Umfeld der Störfallbetriebe benannt werden. Dazu sollen generelle
Aussagen getroffen werden, welche schutzbedürftigen und sonstigen Nutzungen
gem. § 50 BImSchG innerhalb dieser Abstände zukünftig möglich bzw. unter
welchen Bedingungen möglich sind, also beispielsweise Schulen,
Kindertagesstätten, Einzelhandel, Büros, Hotels, Gewerbe.
Generell soll das Gutachten in engem Dialog mit der Industrie erarbeitet
werden. Die betroffenen Betriebe wurden bereits informiert und haben die
Zusammenarbeit zugesagt.
Die Ergebnisse des Gutachtens sollen als Planungs- und
Entscheidungsgrundlage bzw. Abwägungsmaterial für Plan- und Genehmigungsverfahren
dienen. Des Weiteren sollen auf ihrer Basis städtebauliche Verträge mit den
Betreibern geschlossen werden, um im Hinblick auf städtebauliche Entwicklungen
bzw. zukünftige Bauvorhaben sowohl der Stadt als auch den Betreibern Planungssicherheit
gewähren zu können. Auf diese Weise sollen frühzeitig mögliche Konfliktpunkte
zwischen empfindlichen Nutzungen und Störfallbetrieben im städtebaulichen Zusammenhang
einvernehmlich gelöst werden.
Für die Erstellung des gesamtstädtischen Seveso-II-Gutachtens wurden
bereits Angebote bei nach § 29a BImSchG anerkannten Sachverständigen eingeholt.
Nach den vorliegenden Angeboten beläuft sich die Auftragssumme für die Vergabe
des gesamtstädtischen Seveso-II-Gutachtens auf ca. 120.000 €. Davon sollen
mindestens 20.000 € in 2012 beauftragt werden. Diese Mittel sind in der Produktgruppe
0905, Produkt 090501, vorhanden. Die dann noch „fehlenden“ 100.000 € sind im
Haushalt des FB 61 nicht vorgesehen. Daher wurde vereinbart, dass noch in 2012 überplanmäßige
Mittel bereitgestellt werden, sofern Deckungsmittel vorhanden sind, um das Gutachten
zeitnah vergeben zu können. Bei entsprechender Mittelbereitstellung
besteht die Möglichkeit, den Auftrag bereits in diesem Jahr zu vergeben und die
Mittel zu binden. Eine Zahlung kann dann 2013 erfolgen.
Deckungsmittel in Höhe von 100.000 € werden aus der Position Zinsaufwendungen
für Kassenkredite, Auftrag 970016050212, Sachkonto 551710 bereitgestellt.
Schnellübersicht über die finanziellen Auswirkungen der Vorlage Nr.
1777/2012
Beschluss des Finanzausschusses vom 01.02.2010 und Auflage der
Kommunalaufsicht vom 26.07.2010
Ansprechpartner / Fachbereich / Telefon: Frau Sikorski / FB 61 / -6123
Kurzbeschreibung
der Maßnahme und Angaben, ob die Maßnahme durch die Rahmenvorgaben des
Leitfadens des Innenministers zum Nothaushaltsrecht abgedeckt ist.
(Angaben
zu § 82 GO NRW, Einordnung investiver Maßnahmen in Prioritätenliste etc.)
Beauftragung eines gesamtstädtischen Seveso-II-Gutachtens. Details siehe Begründung.
A) Etatisiert unter
Finanzstelle(n) / Produkt(e)/ Produktgruppe(n):
(Etatisierung im laufenden Haushalt und
mittelfristiger Finanzplanung)
20.000 € sind unter Produktgruppe 0905, Produkt 090501, vorhanden. Die restlichen 100.000 € sind bislang nicht im Haushalt des FB 61 etatisiert. Diese Mittel wurden jedoch für 2013 angemeldet.
Es wird um Bereitstellung überplanmäßiger Mittel gebeten, um zeitnah beauftragen zu können.
B) Finanzielle
Auswirkungen im Jahr der Umsetzung:
(z. B. Personalkosten,
Abschreibungen, Zinswirkungen, Sachkosten etc.)
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C) Finanzielle Folgeauswirkungen ab dem Folgejahr der Umsetzung:
(überschlägige Darstellung
pro Jahr)
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D) Besonderheiten
(ggf. unter Hinweis auf die Begründung zur Vorlage):
(z. B.: Inanspruchnahme aus
Rückstellungen, Refinanzierung über Gebühren, unsichere Zuschusssituation,
Genehmigung der Aufsicht, Überschreitung der Haushaltsansätze, steuerliche
Auswirkungen, Anlagen im Bau, Auswirkungen auf den Gesamtabschluss)
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Begründung der
einfachen Dringlichkeit:
Von einer Vertagung des Beschlusses in den nächsten Sitzungsturnus wird auf jeden Fall abgeraten, da eine kurzfristige Beauftragung für eine Klärung anstehender Projekte unabdingbar ist. Es sind bereits Angebote für die Erstellung des gesamtstädtischen Seveso-II-Gutachtens eingeholt worden, so dass die Beauftragung zeitnah erfolgen kann.